Skitourendurchquerung der Bernina
Am Freitag, den 15.5.22 ging es los. Spät am Abend machte sich ein Großteil des Vorstandes auf den Weg nach St. Moritz. Ziel war es, die Bernina mit Skiern zu durchqueren und dabei ein paar schöne Touren, spannende Gipfel und atemberaubende Landschaften zu sehen. Gleich vorweg: Alle Erwartungen wurden erfüllt.
Tag 1:
Barbara, Anja, Elias und Leo fanden sich so um kurz vor Mitternacht in der Jugendherberge in St. Moritz ein. Nach einer kurzen Nacht und ausgiebigem Frühstück ging es los. Das Auto wurde an der Talstation der Diavolezza geparkt. Hier möchten wir, wenn alles klappt, in sechs Tagen wieder ankommen. Mit dem Bus ging es dann eine Stunde lange nach Silvaplana-Surlej. Von dort nutzen wir die Lifte des Skigebiets um auf den Corvatsch (3305m) zu gelangen. Nach kurzem Stopp auf der Terrasse ging es los Richtung Süden. Ich war etwas angespannt, da ich zum ersten mal meine neuen "Hochtourenski" ausprobieren durfte: ein Fischer Transalp 86 in 183cm. Optisch passte der Ski ja schon mal zu meinem Outfit und nach den ersten Schwüngen wusste ich, dass wir bestimmt Spaß miteinander haben werden. Kaum warm gefahren warteten gleich zwei kurze, mit Seil gesicherten Fels-Passagen auf uns. Weiter traversierten wir bei etwas zu warmem Wetter die Süd-Ost Hänge bevor wir Richtung Il Chapütschin aufstiegen. Wir hätten auch direkt zur Hütte Chamanna Coaz (2611m) fahren können, aber der Tag soll ja schon genutzt werde
Am Piz dal Lej Alv vorbei ging es über ein kurzes Gletscherstück zum Skidepot des Il Chapütschin (3388m). Dort kurz die Ski auf den Rücksack gepackt und weiter geht es über den einfachen Nord-Grat auf den Gipfel. Um es interessant zu halten gingen wir nun den Grat Richtung Süd-Westen weiter. Anfangs recht leicht musste gegen Ende etwas abgeklettert (UIAA 2) werden.
Nach dem Joch (3325m) ging es über den 800m langen Süd-Grat auf den Chapütschin Pitschen (3327m) bevor wir anschließend nordseitig den Gletscher Richtung Hütte abfuhren. Die Abfahrt lies dann etwas zu wünschen übrig. In der Höhe firnten die Hänge kaum auf und in den unteren, ostexponierten Langen brach man zum Teil hüfttief im Schwimmschnee ein. Dennoch boten sich mit Gletscherbrüchen und schroffen Landschaften die ersten imposanten Eindrücke der Region.
Die Hütte war recht voll – wie es über Ostern ja auch zu erwarten war. Nach einem Stück Kuchen auf der Sonnenterrasse und einem exzellenten Abendessen ging es im sehr engen Matratzenlager ins Bett. Beinahe einzigartig: keiner der 20 Lagerkammeraden schnarchte…
Tag 2
Am Sonntag stand eigentlich wegen seines spannenden Gratzustiegs der Piz Glüschaint (3594m) auf dem Programm. Auf Grund der sehr spärlichen Schneelage ist dieses Jahr war der Gletscherbruch jedoch kaum zu überwinden, so dass wir uns Richtung La Sella (3584m) aufmachten.
Bei schönstem Wetter genossen wir den Zustieg durch den Gletscherbruch. Im obersten Teil seilten wir uns wegen einiger offener Spalten an.
Am Skidepot angekommen wollten wir zuerst direkt auf den Grat gelangen. Jedoch gestaltete sich das schwierig. Nur ich hatte Steigeisen eingepackt, ohne die es auf Grund des wenigen Schnees und des lockeren Gesteins schwierig geworden wäre. So kehrten wir zum Skidepot zurück und nahmen den Normalweg auf den Grat und schließlich auf den Gipfel. Oben bot sich im nahezu windstillen eine atemberaubende Aussicht. Obwohl wir nur auf 3584m waren lagen doch die aller meisten Berge unter uns. Eine perfekte Gelegenheit um mit unserem Gaskocher eine Zwiebelsuppe zuzubereiten.
Auch wenn die Abfahrt entlang der Aufsiegsspur schon etwas weicher war als am Vortag, gab es auf der Spaßskala noch deutlich Luft nach oben.
Tag 3
Auch am Montag ging es gemütlich los. Aufstehen 6:30 Uhr, Frühstück 7 Uhr, Abmarsch 8 Uhr. Es stand kein Gipfel auf dem Programm, sondern der Übergang zur Rifugio Marinelli-Bombardieri (2813m), unserer nächsten Hütte. Während die meisten hierzu den Flachen Übergang Fuorcla da la Sella wählten, fieberten wir etwas mehr Abenteuer entgegen und wollten uns an die bis zu 50° steile Furcla dal Glüschaint als Übergang wagen.
Der Aufstieg war ähnlich zum Vortag und recht unspektakulär. Oben angekommen konnten wir von einem Felsvorsprung den ersten Blick auf unsere Rinne erhaschen. Das obere Ende war trichterförmig und durch eine mächtige Wechte geprägt. Auf der Ostseite konnte man jedoch einfahren.
Unsere Hoffnung, dass wir die Süd-West exponierte Rinne in aufgefirngem Schnee abfahren könnten zerschlug sich leider. Es war sehr hart und es lagen auch zu viele Schneebrocken verteilt, so dass wir am Ende des Trichters die Ski auf den Rucksack packten und uns mit Steigeisen und Pickel bestückt zu Fuß auf die 200 Höhenmeter Abstieg machten.
Das ging soweit auch ganz gut. Ausgerechnet in der Engstelle (~3m breit) löste sich in der oberen sonnenbeschienenen Felswand ein Stein, der Barbara an der Wade erwischte. Glücklicherweise konnte die Tour aber mit einer Prellung fortgesetzt werden.
Unten angekommen bot sich abermals ein wunderschöner Anblick über die Gletscher und Berge. Und – endlich – gab es eine super lohnende Abfahrt über den aufgefirnten Gletscher Vedretta di Scerscen. So genossen wir die flache, über 6km lange Abfahrt bevor wir nochmal auffellen und die letzten 400 Höhenmeter zur Hütte aufsteigen mussten. Die Auffellpause nutzen wir auch um uns im Gletscherbach etwas frisch zu machen und das ein oder andere Kleidungsstück einmal durchzuwaschen. Der Aufstieg machte sehr viel Spaß. Im Gegensatz zu den Gletschertouren ging es diesmal recht eng und steil zu. Wir ließen uns Zeit – denn schwitzen wollte nach dem Waschen keiner mehr...
Die Marinelli-Hütte liegt sehr exponiert auf einem Felsgrat und nach wenigen Metern Fußweg kann man sogar die Südwand des Piz Bernina sehen. Bei unserer Ankunft war gerade eine Rettungsaktion am Piz Bernin in Gange. Anfangs wusste niemand so recht was los war – auch die zwei an der Hütte vom Helikopter zurückgelassenen Besatzungsmitglieder wussten nichts genaueres: Zwei durch die Südwand aufgestiegenen Kletterer wurden wohl beim Absturz beobachtet und der Heli war auf der Suche nach ihnen. Dementsprechend gedrückt und angespannt war die Atmosphäre. Umso schöner war die Erleichterung, als der Heli die erste Bergsteigerin unversehrt zur Hütte brachte. Es stellte sich heraus, dass sie erfolgreich die Südwand durchstiegen hatten und erst bei der Ski-Abfahrt der Begleiter gestürzt war. Er zog sich eine Beinbruch zu und wurde direkt ins Spital geflogen. Dennoch war das sehr erleichternd. Die restliche Zeit verbrachten wir barfuß und in kurzen Hosen auf der Sonnenterrasse und ließen es uns gut gehen – was bei italienischen Hüttenpreisen nun deutlich entspannter gelang :-)
Die Marinelli-Hütte ist riesig – insgesamt bietet sie Platz für 120 Personen. Da wir die einzigen Gäste waren fühlt sich das schon fast etwas gespenstig an. Doch in der gut geheizten Stube bei bestem italienischen Essen und super freundlichen und gesprächigen Hüttenwirten war das schnell vergessen.
Zuletzt mussten wir uns überlegen, wie die Tour am nächsten Tag aussehen soll. Das Ziel, die Rifugio Marco e Rosa (3597m) war klar, doch es gibt zwei mögliche Zustiegsvarianten:
Direkter Weg über die Fuorcla Crast’Agüzza – eine sehr steile Firn-Rinne.
Hier wären wir schnell an der Hütte und könnten vermutlich sogar noch den Piz Bernina in Angriff nehmen.Überschreitung des Piz Zupo (3995m)
Schöner Zustieg durch den Gletscher, dann anspruchsvollere Überschreitung
Auf Grund des sehr gut vorhergesagten Wetters und auch der dort erwarteten, schönen Landschaft südlich des Piz Palü entschieden wir uns für die Überschreitung.
Tag 4
Eine Stunde früher als sonst brachen wir auf. Mit Harscheisen ging es die ersten 200 Höhenmeter durch die sehr hart gefrorenen und von Abfahrtsspuren durchpflügten Südhänge – hier brach Leo auch leider die Halterung eines der Harscheisens, was die weitere Tourenplanung nicht gerade vereinfachte.
Über weite Gletscher ging es nach nordosten in den „Passo di Sasso Rosso“. Hier wollten wir etwas abkürzen, in dem wir uns auf dem Gletscher weit links hielten und einen Weg durch den Gletscherbruch suchten. Die jedoch teils 15m breiten zwar zugeschneiten, aber mit Löchern versehenen Spalten war uns zum Überqueren zu heikel so dass wir umdrehten und den Bruch links liegen liesen. Auf dem Gletscherplato sahen wir nun das erste mal den Nordgrad des Piz Zupo. Doch das Hauptproblem war nicht der Grat an sich, sondern wie man auf den Grat gelangt.
Zuerst galt es den Bergschrund, also die oberste Spalte eines Gletscher zu überwinden, die entsteht, wenn der Gletscher Richtung Tal fließt und dieser am Gestein abreist.
Doch nicht nur das, danach ging es über einen 50m langen sehr steilen Osthang Richtung Grat. Auch hier lag extrem wenig Schnee und es stellte sich leider heraus, dass dieser zu locker war und das darunter liegende Gestein zu lose für einen sicheren Aufstieg ist. So kam es, dass wir nach 2h den Überschreitungsversuch abbrechen mussten und den Umweg über die Bellavista-Terrasse (eine sehr ausgesetzte Traverse) zur Hütte wählen mussten.
Das kostet uns nochmal ganz schön Zeit, so dass wir froh waren um nach knapp 10 Stunden und 1650 Höhenmetern endlich an der Marco e Rosa angekommen zu sein.
Abermals waren wir die einzigen auf der Hütte und der Hüttenwirt verwöhnte uns mit Pizza, Pasta und Hauptspeise. Natürlich durfte auch der Schnaps nicht fehlen.
Geplant war für den nächsten Tag die Besteigung des Piz Berninas über den Spallagrat und unser Wetterbericht sagte auch für die nächsten beiden Tage noch gutes Wetter voraus. Doch der Hüttenwirt warnte vor schlechtem Wetter. Außerdem flog er am nächsten Tag mit dem Heli ins Tal, so dass wir statt bequemer Hütte ins Biwak hätten ausweichen müssen. So verworfen wir den Plan und befassten uns mit den Möglichkeiten der letzten Etappe Richtung um ans Auto an der Diavolezza-Bahn zu gelangen.
Tag 5
Abermals ging es um 6 Uhr, nach typisch italienischem Frühstück mit Weißbrot und Marmelade (und etwas Streichkäse) los. Da das Wetter bestens war entschieden wir uns spontant für einen kleinen Abstecher, um zumindest einmal den Grat des Piz Zupo von der Südseite her anzuschauen – und die Entscheidung wurde belohnt: der Grat sah bestens aus, so dass wir uns für dessen Überschreitung entschiede. Der Zustieg auf den Grat war natürlich auch hier auf Grund der Schneelage nicht ganz einfach. Aber immerhin war der Schnee sehr hart, zum Teil sogar eisig, so dass der Weg mit Steigeisen gut zu bewältigen war. So gelangten wir am laufenden Seil gesichert auf den Piz Zupo (3995m) und auch über den Nordgrat in die Scharte, deren Zustieg uns am Vortag nicht möglich war. Vom Grat konnten wir uns jedoch entspannt in die Schneeflanke abseilen, die wir nun ja schon fast zu gut kannten.
Mit dieser Variante sparten wir uns auch das abermalige Queren der Bellavista, was mit nur einem Harscheisen am frühen morgen zumindest für Leo auch sehr sportlich geworden wäre. Auch der zweite Teil der Tour, die Überschreitung des Piz Palü (3899m) mit seinen zahlreichen Gipfeln und dem sehr schmalen 2km langen Firngrat, war ein Highlight.
Und die Abfahrt setzte nochmal einen oben drauf: Die Wegführung durch den eh schon zerklüfteten Gelscherbruch war dieses Jahr mit dem wenigen Schnee unglaublich: Bergführer haben Absätze in die Spaltenränder geschlagen um den Weg überhaupt möglich zu machen. Einmal mussten wir gar auf den Boden einer breiten Glescherspalte fahren um an deren Ende wieder „ausgespuckt“ zu werden. Die Abfahrt zum letzten Aufstieg unserer Tour war ebenfalls einfach paradiesisch. Sonne, warm, weicher Schnee, beeindruckender Ausblick – was will man mehr.
Die 200 Höhenmeter vom Gletscher hoch zur Bergstation des Skigebiets der Diavolezza (2972m) zogen sich nochmals. Oben angekommen fanden wir jedoch einen gebührenden Abschluss: Alle Skitouristen waren schon weg – dennoch gab es für uns auf der Terrasse des Bergrestaurants Minestrone, Eis und Cola (leider wieder zu schweizer Preisen).
Auf den 1000 Höhenmeter über die Piste zum Auto hatten wir zwar teils Nebel – aber auch das war mit dem Abenddämmerung eine interessante Simmung. Nach erneutem Waschen im Bach ging es dann auf die Heimreise. Um 1:30 Uhr kamen wir erschöpft wieder zu Hause an. Auch wenn es nicht für den Piz Bernina reichte, waren es fünf schöne, eindrucksvolle und herausfordernde Tage. Wir freuen uns schon auf die nächste Tour.